Streit während der Bedarfsplanung
Was kann man machen, wenn sich die Bedarfsplanung festgefahren hat?
Ein nicht ganz seltener Fall in der Feuerwehrwelt: Man hat eine Reihe von Ortswehren vor langer Zeit zu einer Gemeindewehr fusioniert. Man kennt sich, hilft sich gegenseitig. Man könnte sagen: Es läuft. Bis die neue Bedarfsplanung ansteht. Einerseits, könnte man denken, sind es gute Nachrichten — die Mittel für neue Gebäude und die Erneuerung eines Teils der Fahrzeuge stehen bereit. Andererseits reichen die Mittel natürlich nicht für alle Wünsche. Die demographische Entwicklung hat zugeschlagen — ein Teil der Orte ist kleiner geworden. Zudem sind die Fahrzeuge heute größer als früher — Neuanschaffungen würden gar nicht mehr in jedes der älteren Gebäude passen. Und wenn man genau hinsieht, wird es auch Zeit, neu zu bauen. Aber wie? Vier Ortswehren, aber in Zukunft nur noch zwei Gebäude. Warum eigentlich nur zwei Gebäude? Die Gemeindewehrleitung hat dem Gemeinderat einen Vorschlag unterbreitet. Ein Teil der Ortswehrleiter, so geht das Gerücht, habe Bescheid gewusst, mindestens eine Wehrleitung fühlt sich außen vor. Jemand aus dem Gemeinderat ist nicht einverstanden und verbündet sich mit der Ortswehr, die sich außen vor fühlt. Man geht zur Lokalredaktion, die sich über eine Story freut. Der Rest der Eskalation findet auf Whatsapp und Facebook statt. Ein Teil der Angehörigen von zwei Wehren erklärt später, austreten zu wollen, falls die Bedarfsplanung so umgesetzt werden sollte. Ein Teil des Gemeinderates solidarisiert sich mit den Gegnern der Bedarfsplanung. Ein Lokaljournalist schreibt gern alles auf, was man ihm sagt — oft ohne weitere Stimmen zu der Sache zu hören.
Bei dieser Schilderung handelt es sich um ein fiktives Beispiel. Aber es ähnelt im Grundmuster einer Reihe von Fällen, an deren Bearbeitung und Lösung ich beteiligt war. Auch wenn sicher jede Lage spezifisch ist — es gibt eine Reihe von Gemeinsamkeiten bei der Eskalation der Lage:
- Zuerst gab es in der Regel gute Absichten.
- Natürlich können nicht alle alles haben, so ist das nun mal. Aber wenn man das nur denkt und die Betroffenen nicht zeitig genug beteiligt, entsteht ein Gewirr aus strategischer (verdeckter) Kommunikation — die Beteiligten versuchen, jeweils die beste Lösung zu erreichen, klären die Sache aber eben nicht gemeinsam.
- Natürlich haben die Bedarfsplaner ihre Grundlagen. Aber wenn die Verantwortlichen vor Ort nicht zeitig genug in geeigneter Weise kommunizieren, nutzt die beste Bedarfsplanung nichts — irgendwann „knallt“ es.
- Erst polarisiert sich die Lage. Verschiedene Meinungen stabilisieren und verschärfen sich. Man diskutiert ggf. noch.
- Irgendwann hört man auf, miteinander zu reden, spätestens dann bilden sich Fronten und man redet nur noch übereinander.
- Oft friert die Lage dann ein, und es passiert sehr lange gefühlt wenig oder gar nichts. Appelle oder Machtworte bleiben wirkungslos, einseitige Kommunikationsversuche lassen die jeweils anderen „abblitzen“. Man kommt nicht weiter, oft weiß keine der beteiligten Seiten mehr so recht, was sie machen soll.
Kennen Sie Beispiele, die irgendwie diesem Muster entsprechen? In der Regel findet man aus so einer Lage ohne ein „auslösendes Ereignis“ (bspw. eine Veränderung der Beteiligtenkonstellation durch Wahl, Wegzug, Austritt o.ä.) oder externe Begleitung nicht mehr heraus.
Folgende Optionen hat man direkt vor Ort:
Option 1: Man erinnert die Beteiligten an den Zweck der Organisation und versucht, die ausgebliebene/versäumte/schief gegangene Kommunikation „nachzuholen“, indem man die Beteiligten offen fragt, wie die Wehr in Zukunft organisiert sein soll. Voraussetzung wäre, dass gewisse Änderungen an der Bedarfsplanung noch möglich sind.
Option 2: Man erinnert die Beteiligten an den Zweck der Organisation und versucht, einen gewissen „Ausgleich“ zu erreichen. Man führt eine Aussprache durch, ändert aber die Bedarfsplanung nicht mehr. Man respektiert den Frust darüber, wie es gelaufen ist, und lässt die Verantwortlichen zugeben, dass da nicht alles richtig gelaufen ist. Man bittet die Beteiligten, sich mit der Situation abzufinden und der Wehr treu zu bleiben.
Hilfreich wäre, eine in der jeweiligen Gemeinde allgemein anerkannte und respektierte Persönlichkeit zu bitten, die Aussprache zu moderieren. Solche Persönlichkeiten können sein: Pfarrer, Bürgermeister, pensionierte Schulleiter oder Ärzte, (ehemalige) Geschäftsführer regional ansässiger Unternehmen… Natürlich ist nicht jede Pfarrerin oder jeder Bürgermeister oder jede pensionierte Ärztin dafür geeignet und/oder dazu bereit. Mit diesen Beispielen soll auf ein Wirkprinzip hingewiesen werden, das man sich zunutze machen kann — eine allgemein respektierte Persönlichkeit kann (kurzfristig) eine ähnliche Wirkung haben wie eine externe neutrale/allparteiliche Begleitung. Wenn ein oder zwei Termine genügen, um die Lage wieder in Bewegung zu bringen, reicht diese Option aus. Eine längerfristige/aufwendigere Bearbeitung der Lage ist mit dieser Option nicht möglich bzw. zielführend, weil die Beteiligten irgendwann überfordert sind. Man tut es ja aus gutem Willen und hilft gern, aber man ist ja selbst Teil der Gemeinde, und wenn sich Blockaden nicht lösen lassen, ärgern sich die Betreffenden irgendwann darüber, dass sie so „dumm“ waren, überhaupt versucht zu haben, hilfreich zu sein.
Manchmal ist es besser, Option 3 in Erwägung zu ziehen. Hier wird auf eine neutrale/allparteiliche externe Begleitung gesetzt. Folgende Vorgehensweise hat sich als hilfreich erwiesen:
Sondierung der Lage/Auftragsklärung: Besprechung zwischen den Verantwortlichen und dem Feuerwehrcoach
Interviews mit den Verantwortlichen (hauptamtliche Gemeindevertreter, Gemeindewehrleitung, Ortswehrleitungen, Ausschussmitglieder, Jugendwarte, Gemeinderatsmitglieder, ggf. relevante/besonders engagierte Wehrmitglieder, ggf. besonders relevante „Ehemalige“ usw.) durch den Feuerwehrcoach
Analyse der Interviews — ggf. einschl. der Entwicklung von Handlungsoptionen
Rückmeldung zur Lage an die Verantwortlichen und die Gesprächspartner (getrennt voneinander) durch den Feuerwehrcoach — nun kann die Entwicklung von Handlungsoptionen auf Basis der Erkenntnisse aus der Analyse entweder gemeinsam erfolgen (Diskussion, Workshop zur Entwicklung von Ideen und Maßnahmen, ggf. weitere Termine zur Priorisierung der Ideen, zur Entscheidung und zur Umsetzungsplanung) oder durch den Feuerwehrcoach vorgeschlagen werden.
Schließlich treffen die Verantwortlichen eine Entscheidung, wie es weitergeht.
Was hier „kurz und knapp“ dargestellt wird, erfordert viel Erfahrung. Die Interviews sichern die „Vollständigkeit der Perspektiven“. Wenn man in einer Organisation mit 150 Mitgliedern 15-20 Gespräche mit gut ausgewählten, für ihren jeweiligen Bereich kompetenten Personen geführt hat, kann man — einen gewissen, speziell für den Hintergrund „ehrenamtliche Organisationen“ bzw. „freiwillige Feuerwehren“ Wissens- und Erfahrungsbestand vorausgesetzt — ein vollständiges Bild der Lage erfassen. Voraussetzung ist, dass die Auswahl keiner „interessensgeleiteten Verzerrung“ unterliegt, sondern man wirklich das gesamte Binnenspektrum der Organisation abbildet (Mitglieder der Leitung — einfache Mitglieder; dienstältere Funktionsträger — neue Funktionsträger; Loyale — Skeptiker; Gemeindewehrleiter — Ortswehrleiter; Jugendwarte, Ausschussmitglieder, Amtsleitung, Bürgermeister).
Wenn man nun diese Gespräche gut analysiert, erhält man ein umfassendes Bild der Lage — und einen Überblick über die Ursachen und die (noch) möglichen Optionen. Mit diesen Ergebnissen — Beschreibung der Lage, Verständnis für die Ursachen und Bild von den realistischen Optionen — konfrontiert man die Verantwortlichen und später die Gesprächspartner.
Nun kann man sich entscheiden — entwickelt man die Maßnahmen gemeinsam oder schlägt man bereits Maßnahmen vor? Das kommt auf den Auftrag, also die Erwartungen der Auftraggeberseite an. Fakt ist, dass eine gewisse Analyse der Lage von außen, verbunden mit einem „festen Vortrag“ der Analyse der Lage durch einen externen Berater nicht ohne Wirkung bleiben. Man versteht die eigene Situation besser, wenn jemand von außen die Situation beschreibt — und man ist eher willens, daran etwas zu ändern, wenn der Änderungsbedarf extern festgestellt wird — und vielleicht sogar Entwicklungsrichtungen aufgezeigt werden, die man dann gemeinsam mit der Wehrleitung und den Kameradinnen und Kameraden konkretisieren kann.
Die externe Perspektive dient nicht nur der Befragung und der Analyse, sondern auch der Begleitung. Wenn die Lage festgefahren ist, entfaltet die Kombination aus (a) Befragung (Wir sind gefragt worden!), (b) Präsentation der Analyse (Spiegelung der Lage und vor allem der Folgen der Lage) und (c) Entwicklung von Maßnahmen (Was müssen wir denn machen, damit wir als Wehr wieder mehr und gemeinsam auf den Zweck der Wehr einzahlen?) durch eine externe Begleitung ihre Wirkung. Natürlich muss die externe Begleitung auch moderieren können, denn (a), (b) und (c) stellen im gelingenden Fall ja nur den Anfang eines Entwicklungs- oder Veränderungsprozesses dar — und darum geht es ja im Falle einer „festgefahrenen“ Bedarfsplanung: die Lage wieder in Bewegung zu bringen.